Laden...

„Fünf von der Mutter getötete Kinder“ – WAZ-Artikel

Wieder ist es passiert: Nicht vorhersehbar, unerwartet, still und unbemerkt tötet eine Mutter zunächst fünf ihrer sechs Kinder zwischen einem und acht Jahren und versucht anschließend, sich selbst umzubringen.

Ein „erweiterter Suizid“: ein Vater oder häufiger eine Mutter töten eigene Kinder und wollen dann sich selbst umbringen. Betroffen, entsetzt, traurig reagieren Menschen auf diese, für die meisten nicht zu verstehende Tat. Unvorhersehbar? Ist das so?

Aus der Presse ist zu entnehmen, dass die 27-jährige Mutter im Alter von 16, 19, 21 Jahren und ab 24 Jahren drei Jahre jährlich ein Kind geboren hat. Zu diesen Herausforderungen kamen Partnerwechsel, der letzte wohl ein Jahr vor der Tat, und wirtschaftliche Belastungen. Wie viele Belastungen haben auf dieser Mutter gelegen? Wie viele enttäuschte Hoffnungen hat sie über Jahre ertragen? Welche Rolle spielten psychische Auffälligkeiten wie emotionale Instabilität, Impulsivität und Depressivität oder andere psychiatrische Störungen in ihrem Leben und letztlich als Auslöser ihres Tuns?

Bei dem Versuch, Taten dieser Art zu verstehen, darf es nicht bleiben!

Auch der Versuch, Schuld und Schuldige zu benennen, hilft nicht, die zielführende Frage zu beantworten: Wie können solche erweiterten Selbstmorde und -versuche verhindert werden?

„Unauffällig“ sei die Familie gewesen. War sie das?

  • Die Unauffälligkeit beruht oft auf sozialem Rückzug mit dem Versuch, sich selbst unauffällig zu machen und so sozial keine Aufmerksamkeit zu riskieren.
  • Die Unauffälligkeit ist die Chance, die Kinder zu lieben und gleichzeitige Angst vor Herausnahme der Kinder zu verdrängen.
  • Die Unauffälligkeit vermindert die Angst, das kleine Glück zu verlieren, das in liebevollen Beziehungen zwischen Mutter und Kindern dennoch erlebt werden kann.
  • Die Unauffälligkeit ist die Sicherheit, sich selbst als fähig zu sehen und die das Selbstbild gefährdenden Lebensveränderungen meistern zu können – gleich wie belastend und risikoreich das ist.
  • Die Unauffälligkeit selbst ist die Herausforderung und Belastung, weiter allein unter hochrisikoreichen Bedingungen leben zu müssen.

Familien wie die der Mutter gehören zu den Hochrisikogruppen für Vernachlässigung und Gewalt an Kindern in der Gesellschaft – auch wegen ihrer Unauffälligkeit.

Leider verstellt die Frage nach der Mitschuld der Gesellschaft und ihrer Institutionen den nach vorne gerichteten Blick, um diese erweiterten Selbstmorde zu verhindern. Daher müssen Fragen ohne Schuldzuweisungen beantwortet werden können.

  • Was kann zunächst jeder in der Gesellschaft als Mitbürger, Nachbar, Bekannter oder Angehöri-ger dazu beitragen, Familien mit hohem Risiko zu erkennen und zur Entlastung beizutragen?
  • Wie können es gesellschaftliche Einrichtungen zukünftig besser schaffen, Hochrisikofamilien zu erkennen, zu erreichen und zu begleiten?
  • Wer und wie kann solche Familien benennen und dazu beitragen, Risiken und Belastungen zu vermindern?

Jede Kindesmisshandlung ist Botschaft! Am stärksten ist sie im Falle der Kindestötung(en).

Diese entsetzliche Tat muss für jeden und jede Institution Anlass sein, die eigenen Wahrnehmungen zu schärfen, auch „stille“ Risiken zu erkennen und zu benennen, um die richtigen Schritte zu tun, dass Unauffälligkeit nicht zur Falltreppe in den Tod wird.

Der Artikel erschien am 07. September 2020 in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.

Weitere Blogbeiträge

Nach oben